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Magazin für die gesammte Thierheilkunde,

Band 27 von

 

 

Dr. E. F. Gurlt und Dr. C. H. Hertwig

Professoren an der Königlichen Thierarzneischule zu Berlin

27. Jahrgang, Berlin 1861

 


 

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B. Besondere Bemerkungen.

1. Anthrax.

a) In dem im osthavelländischen Kreise liegenden Dorfe Bredow hatte sich um die Mitte des Monats Juli

 

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&xnbsp;unter der circa 124 Stück zählenden Rindviehheerde der Kossäthengemeinde eine Krankheit eingefunden, welche nach kurzer Dauer von 1-4 Tagen fast in allen Fällen tödtlich geendet und innerhalb 16 Tagen (bis zum 30. Juli) 11 Stück hinweggerafft hatte. Das erste Stück war, nach Angabe des Hirten, sogar schon nach 1 ½ stündigem Kranksein gestorben. Als ich im Auftrage des K. Landrathamtes am 30. Juli die Vieheerde der Kossäthen und zugleich die des Rittergutes und die Heerde der Bauern zu Bredow untersuchte, fand ich letztere beide Heerden durchaus gesund, und es war, nach den mir hierbei an Ort und Stelle gemachten Mittheilungen von dem Herrn Rittmeister von Monteton und dem Ortsschulzen Krüger, in diesen Heerden überhaupt seit langer Zeit kein Krankheitsfall vorgekommen.

Unter dem Kossäthenvieh fand ich augenblicklich nur eine Kuh in einem kränklichen Zustande, mit Symptomen von Gastriticismus (geringem Appetit, gestörtem Wiederkäuen, etwas mehr als gewöhnlicher derber Consistenz des Kothes und ein wenig Gelbfärbung der Bindehaut) behaftet, jedoch ohne Fieber. Diese Kuh hatte aber erst vor wenigen Tagen gekalbt, und man wollte deshalb diesem Umstande ihr Unwohlsein zuschreiben, obgleich der Hirte angab, dass die bisher gestorbenen Kühe sich in ganz ähnlicher Weise krank, einige dabei aber auch unruhig, wie bei Leibschmerzen, gezeigt haben. Ausserdem erfuhr ich noch, dass die erkrankten Kühe sehr bald die Milch verloren haben und dann, ohne dass andere Zufälle hinzukamen, unter den Erscheinungen der grössten Schwäche in 1-4 Tagen gestorben sind. Bei den Sectionen hatte der Abdecker etwas gelbliches Wasser im Zellgewebe unter der haut, das Blut schwarz, aber flüssig, die Leber gesund, die Milz mehrenteils ebenso, den Darmkanal an einzelnen Stellen äusselich blutfleckig und im Innern hin und wieder

 

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mit etwas ausgetretenem Blut versehen, die Lungen ungleich roth, in der Brust- und Bauchhöhle etwas gelbliches Wasser gefunden.

Obgleich diese Erscheinungen nicht ganz denen einer vollständig ausgebildeten Anthraxkrankheit entsprachen, so waren sie doch hinreichend, in Verbindung mit dem schnell werfolgten Tode der Thiere, so wie mit Berücksichtigung der Jahreszeit, der grossen Hitze und bei der Abwesenheit anderer tödtlicher Krankheiten, die hier aufgetretene Krankheit als Anthrax, und zwar als Anthraxfieber mit acutem Verlauf, zu erklären und demgemäss die vorgeschriebenen sanitätspolizeilichen Massregeln anzuordnen.

Diese Ansicht bestätigte sich im weiteren Verlaufe der Krankheit vollständig. Denn nach einigen Tagen erkrankten wieder ohne besondere Diätfehler drei Kühe und der kräftige, gut genährte Zuchtbulle kurz nach einander unter denselben Krankheitserscheinungen, wie früher und sie starben eben so schnell ab. Ich hatte nun selbst Gelegenheit, Obductionen zu machen und fand bei den selben im Wesentlichen: die Kadaver sehr aufgetrieben, bei eine Kuh etwas Blutausfluss aus der Nase. Extravasate von Blut und gelbem Serum unter der Haut, die innere Fläche der letzteren sehr geröthet, gelbröthliches Serum in der Bauchhöhle, schwarzes theerartiges Blut in beiden Seiten der Herzhöhlen, in den grossen gefässen und in parenchymatösen Eingeweiden, Blutflecke an dem Magen, den Gedärmen und am Gekröse, aber nur in einem Falle die Milz etwas vergrössert und breiartig weich; - und in dem aus verschiedenen Organen 24 Stunden nach dem Tode entronnenen arteriellen und venösen Blute fanden sich, bei der vom Geh. Rath Gurlt und mir gemachten mikroskopischen Untersuchung die, in neuerer Zeit von

 

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Pollender und Brauell im Milzbrandblute entdeckten eigenthümlichen stabförmigen Körperchen.*)

Ueber die Ursachen der Krankheit war sehr wenig zu erforschen und dieselben erschienen um so mehr räthselhaft, weil das in denselben Orte befindliche und auf ganz nahe Weiden gehende Rindvieh des Rittergutes und eben so die Rindviehheerde der Bauern von der Krankheit verschont blieben. Jede Weide war gross genug, um den auf sie getriebenen Vieh die hinreichende Nahrung zu geben, und die Vegetation auf ihnen war, trotz der seit einigen Wochen bestandenen grossen Hitze, noch recht erfreulich. Nur hin und wieder zeigten sich Stellen, auf denen die Spitzen der Blätter trocken geworden waren. Von Mehlthau, Rost und Brand war nichts zu bemerken. Auf sämmtlichen drei Weiden fand ich fast dieselben Pflanzen, und zwar vorwaltend ächte Gräser, und nur auf den feuchten Stellen standen Stirpus und Ranunculus und an den Tränkepfulen auch Binsen. Der Boden bestand an der Oberfläche mehrentheils aus schwarzer Moorerde, unter welcher eine tiefgehende Sandschicht**) liegt; hin und wieder scheint zwischen der Moor-

*) In dem Venenblute, welches ich aus der Drosselader einer 48 Stunden kranken Kuh während des Lebens entnommen, fanden sich diese Körperchen nicht. In anderen Fällen will man sie auch im Blute noch lebender Thiere entnommen haben.

**) Wie tief die Sandschicht geht und welche andere Erdschichten unter ihr liegen? – konnte ich nicht ermitteln; aber in einiger Entfernung von den Weiden sahe ich an einem neu ausgegrabenen Kanal den Sand über 4 Fuß tief liegen. Hiermit will ich jedoch nicht behaupten, dass dies an allen Stellen ebenso der Fall ist. Dass unter diesen Moor- und Sandschichten der sogenannte Keipersandstein (den man nach einer Ansicht als eine, die enzootische Entstehung des Anthrax mitbedingende Ursache betrachtet) liegen sollte, ist nicht wahrscheinlich, da derselbe in hiesiger Gegend bei sehr vielen Bohrungen nicht gefunden worden ist.

 

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Erde etwas Lehm zu sein; denn die Oberfläche des Bodens war an mehreren Stellen durch die Sonnenhitze sehr hart geworden. Jede Weide besitzt einen Wasserpful, aus welchem das Vieh getränkt wird. Diese Pfule waren bedeutend eingetrocknet, und zwar auf der Kossäthenweide am meisten (über die Hälfte; das Wasser in diesem Pful hatte eine grünliche Farbe angenommen (früher soll es mehr weiss gewesen sein) und war fade, fast faulig schmeckend, auch etwas übel riechend geworden. Das Wasser in den beiden anderen Pfulen erschien fast ganz rein. Schützende Bäume enthält keine der drei Weiden; aber ungefähr die Hälfte des Weges vom Dorfe bis zu ihnen ist mit Weidenbäumen besetzt. Die Entfernung der Weide vom Dorfe beträgt für das Kossäthenvieh gegen eine Viertelmeile.

Die Besitzungen der Kossäthen in Bredow liegen zerstreuet neben denen der Bauern. Ihre Ställe fand ich geräumig und reinlich.

Bei diesen Ergebnissen der Untersuchung konnte man als erkennbare Ursache der Krankheit mit einiger Sicherheit wohl nur die, seit einigen Wochen bestehende, grosse Hitze und das verdorbene Trinkwasser beschuldigen. Denn mit Ausnahme des Letzteren erschienen alle übrigen diäteschen Verhältnisse bei den drei Heerden des ortes von gleicher Art. Dass die Sonnenhitze für sich allein und durch direkte Einwirkung auf die Thiere den Anthrax nicht erzeugt, ist so vielfältig bewiesen, dass kaum noch ein Wort hierüber zu sagen nöthig ist. Im vorliegenden Falle ergiebt sich dies daraus, dass das Vieh der beiden andern Heerden, auf welches die Sonnenhitze doch eben so wie auf das Vieh der Kossäthen einwirkte, von der Krankheit frei blieb; aber die Wirkung der Hitze auf das Trinkwasser des Letzteren und hierdurch mittelbar wieder auf das Vieh selbst war eine andere als auf das Vieh des Ritter

 

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Gutes und der Bauern. Wodurch die verschiedene Wirkung der Sonnenhitze auf das Wasser des einen und des andern Pfules bedingt geworden ist? – konnte ich nicht entdecken; ich vermuthe aber, dass der Boden in der Tränke des Kossäthenviehes entweder moorigt ist oder mehr verfaulte organische Substanzen enthält, welche durch die andauernde Wärme in Gährung und Fäulnis versetzt worden. Hinzu kommt noch, dass diese Stoffe sich, bei der Verminderung der Wassermasse durch die Verdunstung, in einem mehr concentrirten Verhältniss in dem Wasser angehäuft befinden und deshalb bei dem Genusse desselben mehr schädlich auf die Thiere wirken als zu den anderen Zeiten, wo der Tränkpful mit Wasser vollständig gefüllt ist.

In wie weit noch andere Ursachen (besonders nach der beliebten Redensart: "cosmische, tellurische") zum Entstehen der Krankheit beigetragen haben mögen, muss ich dahingestellt sein lassen, weil ich solche Ursachen durchaus nicht entdecken konnte. In früheren Fällen bin ich zu der bestimmten Erkenntniss gekommen, dass wohl gewisse Veränderungen in der Luftelektrizität und ebenso gewisse Ausdünstungen des Erdbodens, wie dieselben bei andauernder grosser Wärme entsthen und dann von den Thieren eingeathmet werden, zur Erzeugung des Milzbrandes sehr viel beitragen können.

Mit Rücksicht auf diese letztere Art von Ursachen lege ich bei der Prophylaxis und bei der Kur des Anthrax stets einen grossen werth auf Veränderung des bisherigen diäteschen Verhaltens und – wenn es sein kann – des Aufenthaltsortes der betreffenden Viehheerde. Im vorliegenden Falle hatte ich hierzu, wegen des schlechten Trinkwassers der Thiere auf der Weide, eine besondere Veranlassung.

Demgemäss wurde das Austreiben des sämmtlichen

 

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Kossäthenviehes auf die Weide eingestellt. Die Thiere wurden von den Eigenthümern im Stalle, theils mit Grünfutter, theils mit Heu ernährt und mit gutem Wasser aus dem Brunnen getränkt, und die Ställe qwurden, so viel sich das thun liess, kühl und luftig gehalten. Einige von den noch erkrankten Stücken erhielten in den ersten Tagen Salpeter, Glaubersalz und bittere Mittel, andere erhielten Schwefelsäure im Getränk, mit gutem Erfolge; einzelne wurden auch mit kaltem Wasser begossen. Mehreren Kühen hatte der Hirte einen Aderlass gemacht, der jedoch wenig genutzt und kein Stück vom Tode errettet hat

Durch das zurückbehalten des Viehes in den Ställen der einzelnen Besitzer wurde zugleich gewissermassen eine Parzellirung der Heerde und hierdurch die Verhütung einer möglichen Ansteckung im grösserem Umfange bewirkt. Ich muss jedoch bemerken, dass ich über erfolgte Ansteckung von Rind zu Rind im vorliegenden Falle keinen sichern Beweis erhalten habe; denn wenngleich in einem und denselben Stalle 2, auch 3 Stücke am Anthrax erkrankten, so traten doch die erkrankunewgen gewöhnlich nicht bei unmittelbar neben einander stehenden Kühen auf, und ausserdem waren ja alle Thiere gleichen Gelegenheitsursachen unterworfen und deshalb zum gleichartigen Erkranken disponirt.

In der zweiten Hälfte des August hörten die Erkrankungen auf, nachdem im Ganzen 28 Kühe und der Bulle von der Seuche ergriffen und 19 Stück derselben erlegen waren.

b) Eine zweite Anthraxkrankheit unter dem Rindvieh fand sich, fast um dieselbe Zeit wie in Bredow, auf dem zu dem Gute Perwenitz gehörigen Vorwerk Glien. Dieses Vorwerk liegt nordöstlich von der Stadt Nauen auf einer Moorwiese, nördlich von Bredow und nur eine halbe

 

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Meile von diesem Dorfe entfernt, so dass die Weiden und Wiesen beider Orte fast miteinander zusammenhängen. Die Beschaffenheit des Bodens und der Weiden ist daher eine sehr ähnliche wie sie im vorhergehenden von Bredow angedeutet ist. …